«Ich hatte viel Pech – und viel Glück!»
Das sagt Denise Reinle mit Blick zurück. Im Februar 2024 wurde sie Mutter einer Tochter. Für die heute 40-Jährige erfüllte sich damit ihr lang gehegter Kinderwunsch. Den hatte Denise nie aufgegeben – weder 2012, als sie an Blutkrebs (Leukämie) erkrankte, noch 2020, als sie die Diagnose Brustkrebs erhielt. Um Frauen mit einem ähnlichen Schicksal Mut zuzusprechen, erzählt Denise hier von ihrem Weg durch viel Pech ins Mutterglück.
Text: Dieser Artikel ist in Kooperation mit Mediaplanet entstanden. Fotografie: Vertigo Productions
Lesezeit: 10 Minuten

Denise, Sie hatten Brustkrebs – wann und wie kam es zu der Diagnose?
Denise Reinle: Ich stand Ende September 2020 abends im Bad und putzte mir die Zähne. Als ich ans Lavabo zum Wasserhahn rückte, stiess ich mir die rechte Brust. Ich rieb die schmerzende Stelle und spürte dabei eine kleine Verhärtung. Ich war beunruhigt. Mein ungutes Gefühl liess mich nicht los. Also ging ich drei Tage später zum Arzt. Das Ultraschallbild zeigte einen kleinen dunklen Kreis. Mein Arzt meldete mich zur Abklärung im Brustzentrum Rheinfelden an und riet mir, mich bis dahin nicht sehr zu sorgen, er sehe so etwas öfters, die Ursache sei meist harmlos. Ich hielt mich daran, liess die Biopsie machen und ging zuversichtlich ins Gespräch mit dem Chefarzt. Als Dr. Hauschild mir die Diagnose Brustkrebs mitteilte, dachte ich: «Das ist das Ende. Ein zweites Mal schaffe ich das nicht ...»

Das war nicht Ihr erster Krebs?
Denise Reinle: Nein. Ich erkrankte 2012 an Blutkrebs. Ich war damals Ski fahren und fand die Woche im Schnee ungewöhnlich anstrengend. Das schob ich jedoch auf mangelnde Kondition. Wieder zu Hause, wurde ich müder und müder. Ich dachte an einen Infekt und ging zum Arzt. Der nahm mir Blut ab und schickte mich ins Spital Rheinfelden. Nach der Untersuchung dort verlegte man mich noch in der Nacht auf die Isolierstation des Unispitals Basel. Am nächsten Morgen wurde mein Knochenmark punktiert. Bei all den hektischen Untersuchungen vermutete ich einen seltenen Infekt – doch ich bekam die Diagnose Leukämie. Es folgten drei Monate im Krankenhaus mit hoch dosierter Chemo in drei Zyklen. Mein Immunsystem wurde auf null heruntergefahren, ich durfte nur ab und an heim, meist blieb ich isoliert im Spital.
Wie haben sie diese Zeit erlebt?
Denise Reinle: Ich war einfach nur glücklich, dass die Therapie angeschlagen hatte, und freute mich über kleinste Dinge. Zudem sah ich vom Spitalzimmer aus die Menschen am Rheinufer sitzen und ich hatte den einfachen Wunsch: Sobald ich alles überstanden und das Spital verlassen habe, möchte ich auch einen Kaffee am Rhein trinken. Die weitere Chemo absolvierte ich zu Hause, in Form einer zweijährigen Tablettentherapie, die ich jedoch nicht gut vertrug. Ich kämpfte sehr lange mit Übelkeit und starken Kopfschmerzen. Meist lag ich nur rum, war zu nichts anderem in der Lage. Eine Reduktion der Dosis war unumgänglich, was zur (Ver-)Besserung führte. Anfang 2020 galt ich als geheilt. Im August heiratete ich.
Wie verkrafteten Sie die Brustkrebsdiagnose?
Denise Reinle: Mich überfiel schon im Gespräch mit Dr. Hauschild eine tiefe Traurigkeit. Meine Schwester hatte an dem Tag ihr erstes Kind bekommen, die Familie war in Feierlaune. Die wollte ich mit meiner schlimmen Diagnose nicht trüben. Ich war am Boden zerstört, hatte Angst. Ich bezweifelte, den Krebs noch einmal besiegen zu können. Er klebte wie Pech an mir.
Wie unterstützte Sie das Brustzentrum?
Denise Reinle: Dr. Hauschild erklärte mir, dass mein Brustkrebs sehr aggressiv ist und deshalb rasch behandelt werden sollte. Er kündigte mir an, dass das Brustzentrum alle nötigen Untersuchungen für mich planen würde – ich bräuchte mich darum nicht zu kümmern. Das hätte ich auch gar nicht gekonnt, ich war viel zu beschäftigt damit, die Diagnose zu verdauen. Wenig später rief mich meine Breast Care Nurse Cornelia Batram an und machte mit mir die Behandlungstermine aus. Damit hatte ich in den ersten Tagen nach der Diagnose viel zu tun, so blieb weniger Zeit für Grübelei.
Wie wurde Ihr Brustkrebs behandelt?
Denise Reinle: Ich startete im November 2020 mit einer Chemotherapie. Diese schlug an – im Februar 2021 war der Tumor bereits kleiner und nach der Chemo sogar weg. Ich wurde daraufhin operiert: Man entfernte das Gewebe in der Brust, wo der Tumor zuvor war, grosszügig. Es folgten eine Bestrahlungs- und eine Immuntherapie. Damit war ich im Oktober 2021 – genau ein Jahr nach der Diagnose – durch. Körperlich ging’s mir wieder ganz gut – mein Kopf platzte aber vor Sorgen und Ängsten. Die Psychoonkologin, die ich aufsuchte, sagte mir, dass das ganz typisch sei: Lange sei mein System nur im Überlebensmodus gelaufen. Jetzt melde sich die zwischenzeitlich stillgelegte Psyche wieder.

Sie wurden 2024 Mutter einer Tochter – wie gelang Ihnen das?
Denise Reinle: Zwischen meiner Leukämiediagnose und dem Behandlungsstart blieb damals keine Zeit, um irgendwas für meinen Kinderwunsch zu tun – da ging’s darum, mein Leben zu retten. Vor dem Start der Brustkrebsbehandlung war das anders. Dr. Hauschild wusste von meinem Kinderwunsch. Er riet mir noch vor Behandlungsbeginn zu einem Termin in der Kinderwunschpraxis. Seine Worte weckten Hoffnung in mir. Ich liess mir Eizellen entnehmen und diese einfrieren. Damit sicherte ich mir zumindest eine Chance auf ein Kind. Gut ein Jahr nach der erfolgreichen Brustkrebsbehandlung bekam ich von meinen Ärztinnen und Ärzten grünes Licht fürs Schwangerwerden. Ich wollte es zunächst auf natürlichem Weg versuchen. Im Sommer 2023 waren wir im Tessin. Ich musste ständig auf die Toilette, mir war oft flau, Alkohol schmeckte nicht mehr. Natürlich dachte ich an eine Schwangerschaft. Doch ich traute mich nicht, einen Test zu machen. Denn wäre der negativ, würde das heissen, dass irgendetwas nicht stimmte ... Ich war verunsichert. Also ging ich direkt zu meinem Gynäkologen, der mir eine Schwangerschaft bestätigte. Das Herz meines Babys schlug. Ich freute mich – traute dem Glück aber nicht. Ich unterdrückte meine Vorfreude, aus Angst aufgrund meiner Vorgeschichte. Mein Vertrauen in meinen Körper wuchs jedoch von Tag zu Tag. Ich verliess mich auf die Aussagen meiner Ärztinnen und Ärzte, dass alles gut laufe – die regelmässigen Kontrollen bestätigten das. Als die Morgenübelkeit nachliess, ging’s mir gut. Ich spürte: Es läuft! Leider zeigte sich im Dezember an meinem rechten Eierstock eine Zyste, die mich zunehmend beunruhigte. Im Februar 2024 kam meine Tochter per Kaiserschnitt auf die Welt – vier Wochen früher als erwartet. Ich sah sie nur ganz kurz, dann brach mein Kreislauf zusammen. Die Zyste wurde im Zuge der Geburt untersucht, schliesslich war der Bauch schon offen. Leider hatte sie sich zu einem Borderlinetumor entwickelt. Also operierte man mich direkt und entfernte den Tumor samt Eierstock. Ich brauchte lange, um mich von dieser OP zu erholen.
Wie geht es Ihnen heute?
Denise Reinle: Mir geht es gut. Immer wenn ich meine Tochter ansehe, erfüllt mich tiefe Dankbarkeit. Sie ist mein Glück. Ich versuche, mein Leben zu geniessen und die Sorgen in Schach zu halten. Die sind immer da ... Im Januar 2025 zeigte sich auch an meinem linken Eierstock eine Zyste. Diese wird jetzt engmaschig beobachtet. Es bleibt mir nur, abzuwarten, wie sie sich entwickelt.
Achten Sie besonders auf sich?
Denise Reinle: Ich besuchte einen Mind-Body-Medizin-Kurs im Brustzentrum und nahm von dort viel für den Alltag mit. Ich versuche, das Gelernte umzusetzen. Ich höre auf meinen Körper, reagiere auf seine Zeichen. Das gelingt mal mehr, mal weniger.

Was wünschen Sie sich?
Denise Reinle: Gesundheit. Zeit mit meiner Familie. Wenn ich meine Kleine anschaue, hoffe ich, dass ihr mein Pech erspart bleibt.
Letzte Frage: Haben Sie Ihren Kaffee am Rheinufer schliesslich getrunken?
Denise Reinle: Nicht nur einen!
