Zu Besuch bei den Perückenmacherinnen
Andrea Blick und Susanna Piccarreta führen gemeinsam die Haarwerkstatt Basel. Sie beraten Brustkrebspatientinnen, die aufgrund einer Chemotherapie ihre Haare verloren haben und stellen Perücken, Toupets und Haarteile her. Sie sind Perückenmacherinnen.
Text: Sibylle Augsburger Hess
Lesezeit: 4 Minuten

Andrea Blick und Susanna Piccarreta sind beide gelernte Maskenbildnerinnen, waren gemeinsam am Theater Basel tätig und haben in dieser Zeit die Idee für die Haarwerkstatt entwickelt. Als Maskenbildnerinnen haben sie das Erstellen von Perücken von A bis Z gelernt. «Ein ästhetischer und handwerklicher Beruf», umschreibt Susanna Piccarreta ihre Arbeit und Andrea Blick ergänzt: «Eine Arbeit bei welcher das Gegenüber mit seinen Wünschen und Bedürfnissen im Fokus steht.» Während sie am Theater innert kürzester Zeit das Aussehen von Schauspielern verändert haben, beraten sie seit 2018 in der Haarwerkstatt Menschen, die aufgrund einer Chemotherapie vorübergehend die Haare verlieren oder durch Erkrankungen wie Alopezie sowie altersbedingt unter Haarausfall leiden. Die Arbeit ist emotional und vor allem sinnstiftend, sind sich die beiden Frauen einig.
Über insgesamt drei Termine beraten und begleiten sie die Betroffenen - zu 95 Prozent sind dies Frauen - in der Haarwerkstatt. Beim ersten Termin steht die Information im Vordergrund. «So gibt es neben einer Perücke die Möglichkeit eines Haarbandes oder diverser Kopfbedeckungen wie Beanies, Bérets, Hüte und Mützen. Es gibt Perücken aus künstlichem und solche aus natürlichem Haar. Das Kunsthaar ist einfacher zu pflegen und günstiger als eine Perücke aus Echthaar. Je nach Diagnose wird ein Teil der Kosten durch die IV oder AHV vergütet. Dass Blick und Piccarreta eine Perücke von Grund auf herstellen, ist selten. Der Aufwand von rund 100 Arbeitsstunden ist sehr gross und lohnt sich nur, wenn jemand längerfristig keine Haare mehr haben kann. In der Regel verwenden die Perückenmacherinnen vorgefertigte Perücken und passen diese individuell auf die Kundin und deren Bedürfnisse an.

«Wenn Kundinnen das erste Mal die Haarwerkstatt aufsuchen, besteht manchmal der Wunsch, mit der Perücke die Haare für einmal anders zu tragen, anders auszusehen.»
«Wenn Kundinnen das erste Mal die Haarwerkstatt aufsuchen, besteht manchmal der Wunsch, mit der Perücke die Haare für einmal anders zu tragen, anders auszusehen», sagt Piccarreta. Im Verlauf der Beratung ändert dies aber meist rasch und die Mehrheit der Frauen entscheidet sich für eine Perücke, die den persönlichen Haaren und der individuellen Frisur am nächsten ist. Die Perücke gibt den Betroffenen die Möglichkeit, selber zu entscheiden, wann und wen sie über ihre Erkrankung informieren. «Die Perücke ermöglicht in der Masse unterzutauchen», sagt Piccarreta. Insbesondere Frauen ohne Haare fallen in der Öffentlichkeit sofort auf, aber auch für Männer, die innert kürzester Zeit ihre Haare verlieren, kann die Situation sehr belastend sein. Haare prägen die Silhouette und unser Erscheinungsbild stark. «Ohne Haare wirkt der Kopf kleiner und die ganze Figur anders», sagt Blick.
Beim zweiten Termin stehen verschiedene Perücken zur Anprobe bereit. Im Hinterzimmer der Haarwerkstatt darf die Kundin auf einem Sessel vor einem grossen Spiegel Platz nehmen. Dahinter steht ein Sofa, auf welchem es sich die Begleitperson bequem machen kann. Auf dem Regal stehen verschiedene Perücken sowie Haarmuster in unterschiedlichen Farben bereit. Bei der Anprobe spüren Andrea Blick und Susanna Piccarreta sofort, ob sich jemand mit der Perücke wohlfühlt oder nicht. «Es ist wichtig, dass sich die Frauen nicht fremd oder verkleidet vorkommen», erklärt Blick. Oft hilft es, wenn neben der Beratung durch die Fachfrauen auch eine Begleitperson dabei ist und ebenfalls sagen kann, was passt und was nicht.

«Es ist wichtig, dass sich die Frauen nicht fremd oder verkleidet vorkommen.»
Nicht nur ihr fundiertes Handwerk zeichnet die Arbeit der beiden Frauen aus. Viel Zeit und Ruhe für die Beratung sowie eine positive, angenehme Atmosphäre, sind ihnen besonders wichtig. Der Verlust des Haares aufgrund einer Erkrankung ist belastend und noch immer ein Tabuthema, das Fingerspitzengefühl voraussetzt. Oft ist die Zeit, bevor die Perücke gefunden wird, von Unsicherheit, Ängsten und vielen Fragen geprägt. Bereits beim ersten Termin löst sich diese Anspannung. «Das ist die schöne Seite unseres Berufs», sagt Blick und Piccarreta ergänzt: «Bei uns im Hinterzimmer wird bei den Anproben oft gelacht, es werden Fotos gemacht, die Stimmung ist positiv und gelöst trotz der Erkrankung der Betroffenen.»
Beim dritten Termin holen die Kundinnen ihre Perücke in der Haarwerkstatt ab. Sie melden sich bei den Perückenmacherinnen, wenn sie ihre Haare verlieren. Andrea Blick und Susanna Piccarreta sorgen dafür, dass die individuell angepasste Perücke bereit ist, um den Frauen Schutz und Selbstvertrauen zu geben.
Für die Zukunft haben die zwei Perückenmacherinnen noch einige Ideen. Die Schminkberatung möchten sie ausbauen und ihr Angebot mit Perücken für People of Color erweitern.